Journal des VDGN, 3-2020

Abgeschafft und doch nicht weg

Straßenausbau: Betroffene in Mecklenburg-Vorpommern werden weiter zu Kasse gebeten

Für viele Grundstückseigentümer in Mecklenburg-Vorpommern gibt es dieser Tage eine böse Überraschung. Obwohl die Straßenausbaubeiträge abgeschafft wurden, haben sie jetzt einen Beitragsbescheid mit erheblichen Geldforderungen bekommen. Das war leider zu befürchten. Denn laut Landtagsbeschluß müssen nur diejenigen keinen Beitrag mehr zahlen, bei denen die Straßenausbaumaßnahme ab dem 1. Januar 2018 begonnen wurde. Erfolgte zum Beispiel der erste Spatenstich im Jahr 2017 und die Ausbaumaßnahme wurde

2019 beendet, heißt das konkret: Die Beitragspflicht entsteht mit dem Abschluß der Bauarbeiten, konkret dem Eingang der letzten Unternehmerrechnung bei der Gemeinde.

Am 1. Januar des darauffolgenden Jahres beginnt eine vierjährige Frist, innerhalb derer die Gemeinde die Beitragsbescheide verschicken kann. Bis Ende 2024 müssen die Anlieger in unserem Beispiel also noch mit einem Bescheid rechnen. Nicht selten dauert der Bau einschließlich aller abrechenbaren Teilmaßnahmen wie das Pflanzen des Straßenbegleitgrüns auch mal zehn Jahre. In dem Fall könnten in Mecklenburg-Vorpommern selbst nach 2030 noch Beiträge ins Haus flattern.

Konsequenzen erst jetzt klar
Diese Konsequenzen der speziell mecklenburg-vorpommerschen Stichtagsregelung sind erst jetzt vielen Grundstückseigentümern klargeworden. Das machten viele erstaunte und besorgte Anfragen bei einem Telefonforum des VDGN bei der Schweriner Volkszeitung Anfang März deutlich. Unter dem Strich: Die Stichtagsregelung ist den Betroffenen nicht zu vermitteln.

Auch aus diesem Grund hatte der VDGN bei der Anhörung im Gesetzgebungsverfahren eine transparente und gerechte Stichtagsregelung gefordert. Dafür müßte ein Zeitpunkt definiert werden, ab dem die  Rechtsgrundlage zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen rückwirkend abgeschafft wird, beispielweise der 1. Januar 2018. Bescheide, mit denen ab diesem Zeitpunkt Straßenausbaueiträge festgesetzt wurden, sind aufzuheben. Eine klare, eindeutige Regelung also, die langwierige Gerichtsverfahren vermeidet und den Verwaltungsaufwand beherrschbar macht.

Eine solche Stichtagsregelung würde auch eine Gleichbehandlung von Grundstückseigentümern, bei denen Baumaßnahmen noch nicht abgeschlossen sind, sichern. So sehen es auch die Freien Wähler in M-V. Sie reagierten mit einer Pressemitteilung auf das VDGN-Telefonforum, erinnerten daran, daß auch sie Kritik an der Stichtagsregelung geübt hatten und sprachen von einem schlecht gemachten Gesetz der Landesregierung.

Deutlich wird nun auch noch ein anderes Problem. Wie in anderen Bundesländern bereits zu registrieren, fürchten die Anlieger in M-V nun, daß sie von der Gemeinde anstelle von Straßenausbaubeiträgen zu Erschlie-ßungsbeiträgen herangezogen werden. Dann wird mit 90 Prozent sogar ein höherer Eigenanteil fällig. Eigentlich scheint alles klar: Erschließungsbeiträge werden nur bei der erstmaligen Herstellung einer Straße fällig, zum Beispiel beim Bau einer neuen Wohnsiedlung, die natürlich eine Verkehrsanbindung benö-tigt. Doch was gilt als erstmalige Herstellung und wann ist sie abgeschlossen? Darüber wird in der Praxis immer wieder heftig gestritten. Da gibt es zum Beispiel einen beleuchteten Asphaltfahrweg, der seit Jahren ein neues Wohngebiet erschließt. Jetzt behauptet die Gemeinde, das sei von der Ausführung her lediglich eine Baustraße, und möchte für einen Ausbau Erschließungskosten kassieren. Ebenso kompliziert ist die Frage, ob eine Straße mit dem Ziel der Erschließung zu DDR-Zeiten bereits mit einfachen Mitteln ortsüblich gebaut wurde. In dem Fall sollen die Anlieger in den ostdeutschen Bundesländern laut Einigungsvertrag von Beiträgen für neuerliche Bauarbeiten verschont bleiben.

Deshalb hat der VDGN eine klare Forderung formuliert: Für Straßen, die bereits zehn Jahre für den Verkehr genutzt werden, muß eine Veranlagung nach Erschließungsbeitragsrecht gesetzlich ausgeschlossen werden. Entscheidend ist dabei allein, daß die Straße in ihrer Breite und Beschaffenheit die Zufahrt von Kfz, insbesondere von Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr, ermöglicht. Den Schlüssel dazu haben die Gesetzgeber in M-V ebenso wie in den anderen Bundesländern selbst in der Hand. Eine Öffnungsklausel im Bundesbaugesetz erlaubt es ihnen, das Thema Erschließung von Bundes- in Landesrecht zu überführen. Danach können die jeweiligen Kommunalabgabengesetze (KAG) der Länder entsprechend verändert werden. Bayern hat das 2019 bereits getan und damit den Weg für die anderen Bundesländer vorgezeichnet. Die müssen nun folgen, wenn sie es ernst meinen mit der Gerechtigkeit bei  Kommunalabgaben.

Hagen Ludwig