Journal des VDGN, 4/5-2020

Abkassieren stoppen!

Corona-Krise: VDGN fordert Moratorium bei Straßenausbaubeiträgen

Trotz Corana-Krise werden derzeit weiterhin Bescheide für Straßenausbaubeiträge verschickt, speziell in den Ländern Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Jüngstes Beispiel ist die Stadt Dessau-Roßlau. Der VDGN und die Bürgerinitiativen reagieren darauf mit großem Unverständnis und fordern ein Moratorium, das die Neufestsetzung von Straßenausbau- und Erschließungsbeiträgen und den Vollzug bereits festgesetzter Beiträge umfaßt. „Damit sollen kommunale Verwaltungen und Landesbehörden in der Corona-Krise entlastet und betroffene Bürger zunächst von zusätzlichen finanziellen Belastungen verschont werden“, erklärten die VDGN-Landesbeauftragten in Thüringen Frank Kuschel und Axel Schneider.

Dieses Moratorium soll zunächst bis Ende September 2020 befristet werden. Dadurch würden keine rechtlichen Verjährungsprobleme entstehen. Selbst die derzeit bei den Widerspruchsbehörden und Verwaltungsgerichten anhängigen Verfahren könnten zunächst befristet mit Zustimmung der Widerspruchführer und Kläger ausgesetzt werden. Auch hier gibt es derzeit wichtigere Dinge zu erledigen. Wenn zudem bei den Finanzämtern Vollstreckungen ausgesetzt werden, sind derartige Aussetzungen auch bei den Kommunen angemessen und begründbar.

In Sachsen-Anhalt gilt die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge für Anlieger bereits als beschlossene Sache. Als Ausgleich dafür wurden schon 15 Millionen Euro in den Doppelhaushalt 2020/2021 des Landes eingestellt. Die Festlegung eines Stichtages soll im 3. Quartal 2020 beschlossen werden. „Gerade vor diesem Hintergrund und angesichts der finanziellen Belastungen und Unwägbarkeiten für die Bürger in Zeiten von Kurzarbeit und Kontaktsperre müssen die Beitragsbescheide unverzüglich ausgesetzt werden“, so Petra Dräger-Röder, Regionalbeauftragte des VDGN und Sprecherin der Allianz gegen Straßenausbaubeiträge in Sachsen-Anhalt.

Im thüringischen Bad Berka droht aktuell die Stadtverwaltung mit Vollstreckungsmaßnahmen bei säumigen Beitragspflichtigen. Mit der gesetzlichen Abschaffung der Straßenausbaubeiträge zum 1. Januar 2019 können in Thüringen derzeit ohnehin nur noch neue Bescheide von den Gemeinden und Städten festgesetzt werden, bei denen die sachliche Beitragspflicht in den Jahren 2016 bis 2018 entstanden ist.

Für diese Fälle und erhobene Straßenausbaubeiträge aus dem Jahr 2015 hat der Landtag zudem eine sogenannte Härtefallklausel gefordert, wofür die Landesregierung bis zum Juni 2020 einen Vorschlag unterbreiten soll. Diese Härtefallklausel könnte bei vielen laufenden und noch anstehenden Verfahren zu einer einvernehmlichen Lösung führen.

Ein von den Landtagen oder den Landesregierungen erlassenes Moratorium, das es in Thüringen übrigens bereits 2004 im Zusammenhang mit der Abschaffung der Wasserbeiträge gab, würde nach Auffassung des VDGN Einzelentscheidungen in den Kommunen überflüssig machen und einheitliches Agieren in allen betreffenden Bundesländern sichern.

Hagen Ludwig

Auslaufmodell

Eine Analyse des VDGN: Wie das Konstrukt Straßenausbaubeiträge zusammenbricht

Deutschlandweit werden die Straßenausbaubeiträge derzeit vollständig oder zumindest teilweise abgeschafft. Dafür hat sich der VDGN in den vergangenen Jahren mit aller Kraft eingesetzt. Zuletzt hat der Landtag des Freistaates Thüringen einen entsprechenden Beschluß gefaßt.

Somit sind es jetzt sieben Bundesländer, in denen es keine Straßenausbaubeiträge mehr gibt. In einem achten Bundesland, in Sachsen-Anhalt, wird eine entsprechende Gesetzesänderung vorbereitet. Es bleiben fünf Bundesländer, in denen die Gemeinden mehr oder weniger selbst entscheiden können, ob sie diese Beiträge erheben, und drei Bundesländer, in denen es spezielle Regelungen wie die Halbierung der Beiträge oder die aus-schließliche Erhebung wiederkehrender Bei-träge gibt. 

Volksinitiativen zur Abschaffung der Beiträge waren bisher in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen erfolgreich. In anderen Ländern laufen sie noch.

Vor fünf Jahren nur gab es noch ein gänzlich anderes Bild. Damals wurden lediglich in Baden-Württemberg und Berlin keine Stra-ßenausbaubeiträge erhoben. Und es waren noch elf Bundesländer, in denen die Kommunen de facto verpflichtet waren, diese Beiträge einzutreiben. In drei Ländern konnten die Gemeinden selbst darüber entscheiden. Das verdeutlicht die enorme Dynamik der Entwicklung.

Im Folgenden geben wir einen Überblick über die aktuelle Situation bei den Straßenausbaubeiträgen in den Bundesländern (Stand 2. April 2020):

Sieben Bundesländer ohne Ausbaubeiträge
• In Baden-Württemberg gab es sie noch nie. In den sechs Bundesländern Berlin, Hamburg, Bayern, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen wurden sie abgeschafft. 

• Berlin strich 2012 als erstes Bundesland die Beiträge. 

• In Hamburg hat die Bürgerschaft am 9. November 2016 die Abschaffung beschlossen. 

• In Bayern wurden nach einer erfolgreichen Volksinitiative die Straßenausbaubeiträge am 14. Juni 2018 per Landtagsbeschluß abgeschafft. Als Stichtag wurde rückwirkend der 1. Januar 2018 festgelegt. Maßgebend ist dabei die Festsetzung des Bescheides. 

• Brandenburg: Eine breite Mehrheit von SPD, Linke, CDU und AfD stimmte am 19. Juni 2019 im Potsdamer Landtag dafür, daß die anteiligen Kosten für alle seit dem Stichtag  1. Januar 2019 abgeschlossenen Baumaßnahmen (Bauabnahme durch die Gemeinde) nicht mehr von den Kommunen auf Grundstückseigentümer umgelegt werden. Stattdessen werden sie vom Land übernommen. Für eine Volksinitiative zur Abschaffung der Beiträge – initiiert von den Freien Wählern – wurden zuvor 108.000 Unterschriften gesammelt und am 8. Januar 2019 an den Landtag übergeben. Das geforderte Quorum lag bei 20.000 Unterschriften.  

• In Mecklenburg-Vorpommern hat der Landtag am 24. Juni 2019 die Erhebung von Straßenbaubeiträgen für alle Straßenbaumaßnahmen abgeschafft, die ab dem  Stichtag 1. Januar 2018 begonnen worden sind (erster Spatenstich). Für die Volksinitiative waren 44.270 Unterschriften gesammelt worden. Das Quorum lag bei 15.000. 

• In Thüringen hat der Landtag am 12. September 2019 einstimmig – bei Enthaltung der CDU – die Abschaffung beschlossen. Die Beiträge wurden rückwirkend zum Stichtag 1. Januar 2019 abgeschafft. Maßgebend ist das Ende der Baumaßnahme (letzte Unternehmensrechnung). Alle Ausbaumaßnahmen, die bis zu diesem Zeitpunkt beendet wurden, können innerhalb einer Vier-Jahres-Frist noch abgerechnet werden. Zuvor hatten zehntausende Thüringer eine „Rote Karte für Straßenausbaubeiträge“ an die Staatskanzlei geschickt – eine Aktion, die der VDGN gemeinsam mit der Bürgerallianz Thüringen initiiert hat. 

• Sachsen-Anhalt bereitet Abschaffung vor: Im November 2019 hat auch die CDU eingelenkt, so daß sich jetzt alle Landtagsfraktionen für die vollständige Abschaffung der Beiträge aussprechen. Die Frage ist jetzt, welcher Stichtag dafür festgelegt und wie er definiert wird, um den Übergang möglichst gerecht zu gestalten. Und da sind sich die Parteien alles andere als einig. Es soll u. a. geprüft werden, welche Regelungen aus anderen Bundesländern sich bewährt haben und übernommen werden können. 

Fünf Bundesländer mit Kann-Regelung
In fünf Bundesländern können die Kommunen selbst entscheiden, ob sie Straßenausbaubeiträge erheben. Das heißt, im jeweiligen Kommunalabgabengesetz (KAG) gibt es eine Kann-Regelung. Eine vollständige Abschaffung ist überall in der Diskussion. 

• Schleswig-Holstein: Einen entsprechenden Beschluß hat der Landtag des schwarz-grün-gelb regierten Bundeslandes am 14. Dezember 2017 ohne Gegenstimmen gefaßt. Die SPD enthielt sich, weil sie noch einen Schritt weitergehen will. Sie tritt für eine komplette Abschaffung der Beiträge ein. Laut Recherchen der Kieler Nachrichten verzichten bereits etwa 80 Prozent der Kommunen auf das Erheben von Straßenausbaubeiträgen. 

• Hessen: In Hessen hat die schwarz-grüne Koalition im Mai 2018 einem FDP-Gesetzentwurf zugestimmt, wonach Kommunen nicht mehr verpflichtet sind, ihre Bewohner an den Straßenausbaukosten zu beteiligen. SPD und Linke fordern hingegen eine generelle Abschaffung der Beiträge. Rund 40 von insgesamt 423 Städten und Gemeinden haben bisher die neue Kann-Regelung genutzt und die Straßenausbaubeiträge abgeschafft. Einer Online-Petition an den Landtag, die Beiträge abzuschaffen, haben sich über 25.000 Bürger angeschlossen. Das Quorum lag bei 15.000. Zahlreiche Bürgerinitiativen wirken unter dem Dach der Arbeitsgemeinschaft „Straßenbeitragsfreies Hessen” zusammen. 

• Niedersachsen: Die rot-schwarze Koalition in Niedersachsen hält noch an der Kann-Regelung fest. Die FDP und Teile des Landesverbandes der CDU wollen eine komplette Abschaffung. An der Basis ist die Abschaffung ein großes Thema. Über 80 Bürgerinitiativen haben sich im Niedersächsischen Bündnis gegen Straßenausbaubeiträge (NBgS) zusammengeschlossen. 

• Sachsen: Im schwarz-rot regierten Sachsen gilt die Kann-Regelung unter Berufung auf ein grundsätzliches Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bautzen vom 31. Oktober 2007 (Atz 5 B 522/06). Demnach „sind diejenigen Gemeinden in ihrer Entscheidung zur Erhebung frei, deren Leistungsfähigkeit nicht gefährdet ist.“ Im Ergebnis dessen hoben viele sächsische Kommunen ihre Straßenausbaubeitragssatzungen auf und zahlten teilweise sogar alle bereits geflossenen Beiträge zurück. Auch in der Stadt Leipzig wurden die Beiträge jetzt abgeschafft. 

• Saarland: Die 52 saarländischen Städte und Gemeinden können selbst entscheiden, ob sie von Grundstückseigentümern Beiträge für den Straßenausbau erheben. Die schwarz-rote Landesregierung hat zu Jahresbeginn 2020 beschlossen, daß es leichter werden soll, wiederkehrende Beiträge zu erheben. Das ist seit 2001 zwar generell möglich, aber wegen eines komplizierten Abrechnungssystems machen die Kommunen davon bisher kaum Gebrauch. Auch in diesem Bundesland läuft eine Volksinitiative für die vollständige Beitragsabschaffung, initiiert von den Freien Wählern.

Drei Bundesländer mit speziellen Regelungen
• Rheinland-Pfalz: In Rheinland-Pfalz werden die Einmalbeiträge für den Straßenausbau nach dem Willen der Ampelkoalition abgeschafft. Stattdessen sollen die Kommunen ausschließlich wiederkehrende Beiträge erheben. Der Gesetzentwurf der Ampel soll Anfang 2021 in Kraft treten. Weiter geben soll es Einmalbeiträge für wenige Ausnahmen: das Anlegen von Park- und Grünflächen sowie sehr kleine Gemeinden. Die in der Opposition stehende CDU bleibt bei ihrer Forderung, die Straßenausbaubeiträge vollständig abzuschaffen. 

• Nordrhein-Westfalen: In NRW müssen Anlieger seit Anfang 2020 nur die Hälfte der bisher fälligen Straßenausbaubeiträge zahlen. Mit den Stimmen der schwarz-gelben Regierungskoalition hat der Landtag von Nordrhein-Westfalen am 18. Dezember einen Gesetzentwurf zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes (KAG) verabschiedet. Ungeachtet einer von 470.000 Bürgern unterzeichneten Volksinitiative wird darin an den Straßenausbaubeiträgen festgehalten. Zumindest sah man sich unter dem Druck der eigenen Bevölkerung veranlaßt, die Beiträge ab 1. Januar 2020 zu halbieren. Unter anderem sollen die bisherigen Höchstsätze für die Beteiligung von Anliegern halbiert werden können. Die Mindereinnahmen der Kommunen sollen mit jährlich 65 Millionen Euro aus Landesmitteln kompensiert werden. Der Bund der Steuerzahler bezeichnete die Ankündigung der Regierungskoalition als richtige Weichenstellung in Richtung einer vollständigen Abschaffung der Straßenausbaubeiträge. Auch die SPD bleibt bei ihrer Forderung nach vollständiger Abschaffung. 

• In Bremen werden keine Straßenausbaubeiträge erhoben, im Gegensatz dazu jedoch in Bremerhaven auf der Grundlage eines Ortsgesetzes.

Hagen Ludwig