Journal des VDGN, 9-2020

Zänkische Kommunen

Mecklenburg-Vorpommern: Städte klagen gegen Ende der Straßenausbaubeiträge

Das Land Mecklenburg-Vorpommern (MV) hat vergangenes Jahr die Straßenausbaubeiträge abgeschafft für alle Ausbaumaßnahmen, die ab dem 1. Januar 2018 begonnen wurden. Der Landtag in Schwerin hat dafür den Kommunen zugesichert, die dadurch entstehenden Ausfälle finanziell zu erstatten. Die Grunderwerbssteuer wurde dazu von fünf auf sechs Prozent angehoben. Letztes Jahr brachte das 30 Millionen Euro zusätzlich in die Kassen, die verteilt werden nach der Länge des Straßennetzes einer Kommune. Genau darum zanken sich jetzt einige Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern mit dem Bundesland.

Die Stadt Ludwigslust zu Beispiel hat ausgerechnet, daß sie nur ein Drittel der Summe bekommt, die sie bisher im Schnitt pro Jahr über die Straßenausbaubeiträge von den Bürgern eingenommen hat. In der Gemeinde Grevesmühlen fehlen nach eigenen Angaben nun rund 400.000 Euro pro Jahr für die Sanierung maroder Straßen, die bislang Anwohner gezahlt hätten.

Daß Kommunen mit einem großen Straßennetz unabhängig vom Sanierungsbedarf mehr Zuwendungen bekommen als kleinere, dagegen versucht die Stadt Grevesmühlen nun gerichtlich vorzugehen. Vor dem Landesverfassungsgericht in Greifswald soll im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde grundsätzlich geprüft werden, ob das Gesetz zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge rechtens ist. Ob das Verfahren eröffnet wird, war bei Redaktionsschluß noch unklar.

Aus Sicht des VDGN sind die Klagen ein unfreundlicher Akt der Kommunen gegenüber ihren eigenen Bürgern. Der Landtag hat die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge – nach dem Erfolg einer Volksinitiative mit mehr als 40.000 Unterschriften – mit der ausdrücklichen Begründung beschlossen, die Grundstückseigentümer „von dieser Belastung zu befreien“. Es ist gesetzlich festgelegt worden, den Ausgleich für die entgangenen Einnahmen aus Landesmitteln zu leisten. Die zusätzlichen Einnahmen aus der Grunderwerbssteuer sollen 2020 sogar auf 40 Millionen Euro steigen.

Es läßt sich verstehen, wenn die Kommunen gegen den Verteilmechanismus der Mittel klagen. Doch davon muß die Tatsache unberührt bleiben, daß diese nicht mehr wirklich begründbare Beitragsform in Mecklenburg-Vorpommern abgeschafft ist. Mit der Stichtagsregelung einer Abschaffung erst ab dem 1. Januar 2018 ist ohnehin schon für sehr viel Unmut bei den betroffenen Grundstücksbesitzern gesorgt worden. Danach blieb die Beitragspflicht für alle Straßenbaumaßnahmen aus den Jahren 2015, 2016 und 2017 weiter bestehen, da hier noch keine Verjährung eingetreten war. Mindestens bis 2021 wird es deshalb in Mecklenburg-Vorpommern so oder so Straßenausbaubeiträge geben.

„Halbierung nur ein Marketing-Trick“

Initiative gegen Straßenbaubeiträge in Nordrhein-Westfalen. Interview mit Sprecherin Lydia Schumacher

Frau Schumacher, mit den Stimmen der schwarz-gelben Koalition hat der Landtag von Nordrhein-Westfalen (NRW) Ende vergangenen Jahres eine Änderung des Kommunalabgabengesetzes (KAG) beschlossen. Ungeachtet einer von 470.000 Bürgern unterzeichneten Volksinitiative für die Abschaffung wird darin an den Straßenausbaubeiträgen festgehalten. Zumindest sah man sich veranlaßt, die Beiträge zu halbieren. Wie ist das von den Betroffenen aufgenommen worden?
Mit großer Enttäuschung, denn selbst die Botschaft von der Halbierung ist nur ein Marketing-Trick der Koalition. Fakt ist: Die Beiträge wurden gerade nicht rechtssicher für alle betroffenen Anlieger halbiert. Davon steht bis heute kein Wort im Kommunalabgabengesetz. Der vorhandene Paragraph 8, der noch die Mär von den angeblichen „wirtschaftlichen Vorteilen“ enthält, ist unverändert geblieben. Hinzugefügt wurde ein Paragraf 8a. Daraus erwachsen den Kommunen viele neue Aufgaben, die den Verwaltungsaufwand hochtreiben. Den hat der Bund der Steuerzahler in NRW vorher schon mit mehr als 50 Prozent der Beitragseinnahmen beziffert. Und jetzt wird der bürokratische Aufwand noch steigen.

Weshalb ist dann in NRW von einer Halbierung der Beiträge die Rede?
Das ging am Parlament vorbei. Die zuständige Ministerin, Ina Scharrenbach (CDU), hat 65 Millionen Euro im Haushalt für dieses Jahr bereitgestellt. Dazu gab es eine Förderrichtlinie als Runderlaß ihres Ministeriums. Demnach haben Kommunen die Möglichkeit, Fördergelder zu beantragen, die bis zur Hälfte der Anliegerbeiträge betragen können. Sofern diese dann ausgezahlt werden, sinken tat-sächlich die Kosten für die jeweils betroffenen Anlieger. Aber die Hürden sind erstens enorm hoch und zweitens hat kein Anlieger einen Rechtsanspruch darauf. Diese sogenannte Halbierung wird sich spätestens dann selbst entlarven, wenn die erste Stadt Mittel für zwei Straßen beantragt, aber nur noch für eine das Geld im Topf ist. Dann zahlt der eine Nachbar tatsächlich die Hälfte, während der andere den vollen Betrag berappen muß. Von Gleichbehandlung kann da keine Rede sein.

Wer sind die größten Verlierer angesichts dieser halbherzigen Lösung?
Leider ist das gar keine Lösung, und die Anlieger bleiben die Verlierer. Zum Beispiel an den Straßen, für die der Beschluß zur Grund-sanierung vor dem Stichtag 1. Januar 2018 fiel. Das trifft auf die meisten Betroffenen zu, die seit Jahren in den Bürgerinitiativen aktiv sind und angesichts dieser Beiträge um ihre Existenz fürchten. Es darf nicht sein, daß in NRW immer noch Menschen qua Gesetz alles verlieren können, wofür sie ihr Leben lang gespart und Verzicht geübt haben. Und das nur, weil zufällig ihre Straße an der Reihe ist. Andere Bundesländer haben das längst erkannt und diese Ungerechtigkeit abgeschafft.

Die Regierungskoalition verweist darauf, daß Betroffene jetzt die Möglichkeit haben, die Beiträge in 20 Jahresraten abzuzahlen – mit einem Zinssatz, der sich am Markt orientiert. Wie bewerten Sie diese Regelung?
Das ist der einzige Teil des neuen Paragrafen 8a, der Betroffenen theoretisch nutzen kann. Allerdings werden zwei Prozent über dem Basiszins kassiert. Wer also kein Geld hat, muß zusätzlich Zinsen berappen. Wir wissen aber auch, daß eine Ratenzahlung über 20 Jahre für die Kommunen viel mehr Aufwand bedeutet, und sie müssen das Geld vorstrecken. Sie täten gut daran, mit uns gemeinsam die Abschaffung zu fordern. Bürger und Kommunen sitzen sowieso in einem Boot.

Ist es der Landesregierung gelungen, den Druck zumindest etwas aus dem Kessel zu lassen, oder werden die Straßenausbaubeiträge weiterhin ein großes Thema in NRW bleiben?
In NRW wird es in dieser Frage keinen Frieden geben, ehe die Beiträge abgeschafft sind. Warum kann NRW nicht, was andere Bundesländer längst geschafft haben? Der Paragraf 8 KAG ist nun einmal nicht reformierbar. Aber die schwarz-gelbe Koalition hat Ende August erneut die Chance verpaßt, einem SPD-Antrag zur Abschaffung zuzustimmen. Und anstatt Frieden in das Thema zu bringen, hat sie in gleicher Sitzung auch noch eine weitere Bürgerbelastung zementiert: An Straßen, die nachweislich seit hunderten Jahren durch die Orte führen, werden plötzlich Ersterschlie-ßungsbeiträge nach Baugesetzbuch kassiert. Die sind auch existenzbedrohend. Der längst vom Bundesverfassungsgericht geforderten zeitlichen Begrenzung für solche Ersterschlie-ßungen uralter Straßen hat die NRW-Koalition eine Absage erteilt. Der Anlieger bleibt der Zahlmeister, der zusätzlich zu allen Steuern die Löcher bei der staatlichen Daseinsvorsorge stopfen soll. Straßenbaubeiträge und geldverschlingende Bürokratiemonster kann man aber abwählen. Dazu werden wir demnächst bei den Kommunalwahlen Gelegenheit haben und in zwei Jahren bei der Landtagswahl.

Interview: Hagen Ludwig

Lydia Schumacher ist Sprecherin der AG der Bürgerinitiativen in Nordrhein-Westfalen, „Schluß mit Straßenausbaubeiträgen", Kontakt: info@strabs.nrw