Es kann keiner Gemeinde ein Vorwurf gemacht werden, wenn sie alle Fördermöglichkeiten im Rahmen ihrer finanziellen Kapazitäten ausschöpft. Die bereitgestellten Finanzhilfen für den Straßenbau sollen dazu beitragen, die Verkehrsinfrastruktur in den Regionen zu verbessern. Niedersachsen stellt hierfür Zuschüsse von bis zu 75 Prozent zur Verfügung. Für finanziell schwächere Kommunen bietet das Förderprogramm zur Dorfentwicklung sogar eine Förderung von bis zu 80 Prozent. Ziel ist es, die Grundversorgung der ländlichen Bevölkerung durch gut erreichbare Einrichtungen zu sichern, auszubauen und zu verbessern. Dies dient dem übergeordneten Ziel, gleichwertige Lebensbedingungen in städtischen und ländlichen Gebieten zu schaffen. Allerdings legt das Niedersächsische Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (NGVFG) fest, dass diese Mittel ausschließlich zur Deckung des Gemeindeanteils verwendet werden dürfen – eine finanzielle Entlastung für die Anwohner gibt es nicht. Sie müssen ihren Beitrag vollständig selbst tragen.
Die Entscheidung über den geförderten Ausbau stellt die Gemeindegremien vor ein Dilemma: Ein Ausbau mit Fördermitteln bedeutet eine erhebliche finanzielle Belastung für die Anlieger, was den sozialen Frieden gefährdet. Andererseits wäre es fahrlässig und schwer vermittelbar, auf die verfügbaren Fördergelder zu verzichten.
In Meinersen, einem Ort im niedersächsischen Landkreis Gifhorn forderten die Grundstückseigentümer der Seershäuser Straße vehement, die Straßenausbaubeiträge durch eine Änderung der kommunalen Satzung abzuschaffen. Zuvor waren sie mit Forderungen zwischen 7.500 und 14.000 Euro für den geförderten Ausbau ihrer Straße konfrontiert worden. Über ihr Engagement spricht Barbara Kriebel, Mitglied im Sprecherrat der BI-Samtgemeinde Meinersen, im Interview:
ν Frau Kriebel, wie war Ihre Reaktion und die Ihrer Nachbarn, als sie von diesen Summen erfuhren?
Wir waren der Meinung, dass es immer Sinn macht, sich zu wehren, zumal wir kein Verständnis dafür hatten, dass 600 m Straße ca. 1, 4 Millionen Euro kosten soll. Bereits im August 2024 gab es eine Demo vor einer Gemeinderatssitzung mit 50 Demonstranten und 200 Unterschriften, die unsere Forderungen lautstark und überzeugend deutlich machten.
ν Was hat Sie dazu bewogen, eine Bürgerinitiative zu gründen?
Unverständnis und Existenzängste von betroffenen älteren Personen und Familien mit kleinen Kindern wegen der auf sie zukommenden hohen Kosten. Wir haben uns zusammengesetzt und Möglichkeiten besprochen, die wir gemeinsam machen können. Dazu gehörte auch der Zusammenschluss mit dem Ortsteil Ahnsen, welcher gleichfalls betroffen war. Da war es folgerichtig, eine Bürgerinitiative zu gründen.
ν Hatten der Bürgermeister und die Verwaltung mit dem starken Gegenwind gerechnet?
Die Reaktion des Bürgermeisters war überraschend positiv. Er hat uns tatsächlich unterstützt. Wir haben von ihm die Ansprechpartner der Fraktionen der einzelnen Parteien erhalten und haben daraufhin gute und konstruktive Gespräche mit der CDU, SPD-Linke und den Grünen, der Samtgemeindebürgermeisterin und dem Kämmerer geführt. Das ist für einen Einzelnen nicht zu schaffen, nur eine starke BI wird wahrgenommen und angehört.
ν Es lief nicht alles reibungslos. 400 Unterschriften zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge konnten wegen Formfehlern nicht anerkannt werden. Sie haben sich nicht entmutigen lassen und auch Hilfe von Verbündeten gesucht.
Ja, wir mussten erfahren, dass es eine Vielzahl an gesetzlichen Vorgaben und Verordnungen gibt, die zu beachten sind. Wir erhielten Unterstützung vom VDGN Berlin, der uns wichtige Hinweise und Unterlagen zur Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in Niedersachsen zur Verfügung stellte. Die neue Vorlage der Unterschriftlisten haben wir uns vom Gemeindedirektor schriftlich bestätigen lassen. Daraufhin sammelten wir wieder fleißig Unterschriften bei den Bürgern, unter anderem auf dem Gemeindefest. Am Ende hatten wir ca. 1.000 Unterschriften von erforderlichen 400.
ν Nach einem weiteren Protestzug im November 2024 haben Sie die 1.000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge in der Gemeinde Meinersen eingereicht. Bürgerentscheid oder Satzungsänderung, wie hat sich die Gemeinde entschieden?
Wir hatten erfahren, dass die Entscheidung am 27.02.25 in der Gemeinderatssitzung fallen soll und sind von Haus zu Haus gezogen, um die Bürger von Meinersen zur Teilnahme aufzufordern. Das Gemeindehaus in Päse war zum Bersten gefüllt, viele Leute mussten draußen stehen. Der Bürgermeister sagte, er hat so was in 25 Jahren nicht erlebt.
ν Offensichtlich hat Ihre Präsenz, neben den vielen Argumenten, zum großen Erfolg beigetragen. Glückwunsch zur Abschaffung der Beitragspflicht für den Straßenausbau in Meinersen.
Nach ca. 1 Stunde Diskussion der Ratsmitglieder votierten neun Mitglieder des Gemeinderates für die Abschaffung, sieben stimmten dagegen. Der Bürgermeister verkündete, die Straßenausbaubeiträge werden zum 1.05.25 in der Gemeinde Meinersen abgeschafft und über eine Anhebung des Hebesatzes der Grundsteuer B um 5,5 % zum 01.01.2026 gegenfinanziert. Die Sitzung musste erst einmal wegen der Freude der Bürger unterbrochen werden. Also es lohnt sich auf jeden Fall, um eine Sache, welche man für richtig hält, zu kämpfen. Der Erfolg gibt uns recht. ψ
Text und Gespräch: Lothar Blaschke
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